7. STEPPENWOLF – BORN TO BE WILD

In diesen Tagen, die sich nach Zielgerade anfühlen und in denen ich darüber nachdenke, warum ich bin wie ich bin, komme ich immer wieder zu dem Schluss, dass alles wohl ganz anders gekommen wäre, wenn man mich damals einfach in Ruhe gelassen hätte. Mich und meine Haare. Mich und meine Musik. Es war das System, der Staat und die Gesellschaft, die mich zu einem Außenseiter degradierten.
Schon in der Schule wurde alles, was nicht gewünscht und nicht konform war, mit Gewalt unterdrückt. Und so zog sich das von oben diktiert durch die gesamte Gesellschaft und ging so weit, dass man Anfang der 70er Jahre in Jena nur noch in zwei Kneipen überhaupt bedient wurde, wenn man lange Haare hatte. Was heute unvorstellbar klingt, war damals nur ein Beispiel von etlichen, beinahe unzählbaren Konflikten, die überall auf mich lauerten.
Zu dieser Zeit blieb Außenseitern wie mir, die noch keinen Anschluss, keine Heimat gefunden hatten, nur die Musik. Sie war ein echter Zufluchtsort, sie war sozial, politisch, kritisch, voller versteckter Botschaften und öffnete Welten, dank derer man gerade so viel Hoffnung bekam, wie man zum Überleben brauchte. Mir gab diese Hoffnung der Blues. Gemeinsam mit anderen trampten wir zu Konzerten, träumten von Freiheit und landeten schließlich und wie nahezu alle Systemkritiker über kurz oder lang in der Kirche. Sie war der einzige Schutzraum in der DDR, in dem man kollektiv halbwegs durchatmen konnte und ein herausragender Ort der Musik und Kommunikation. Für die Kirche war diese Öffnung hin zu einer unterdrückten, knallbunten Jugendkultur keine Kopfgeburt frommer Theoretiker, sondern viel mehr eine Art Reflex auf den Umstand, dass immer mehr Heranwachsende aus dem Zug der Gesellschaft ausstiegen, sich zunehmend verweigerten und aufsässig wurden. Und während man in der Gesellschaft als kleine, nicht ernst zu nehmende Randgruppe von Außenseitern galt, verstand nur die Musik sowie bestimmte Teile der Kirche, dass es sich dabei um ein realtitätsblindes Pauschalurteil handelte. Die offene Arbeit, in der diskutiert, gelesen und Musik gehört werden durfte, war sozusagen der Gegenpol zu den Erfahrungen, die ich zuvor gemacht hatte. Das passte auch musikalisch, denn zu jener Zeit experimentierten bereits einige Geistliche mit Gospel, Jazz, Rock und auch Blues, was natürlich einiges an Staub aufwirbelte und folglich meine Aufmerksamkeit gewann. Hinzu kam, und das war ebenfalls von elementarer Bedeutung, dass innerkirchliche Veranstaltungen nicht den damals üblichen Genehmigungsprozeduren unterlagen. Also fanden allerhand und teilweise legendäre Konzerte in Kirchen und sakralen Räumen statt, unter Anderem auch die Festivals in Braunsdorf bei Walter Schilling.

Als ich in die JG kam, gab es dort auch eine Band, die mich sofort in ihren Band zog – Peaceful Dead. Deren Konzerte hätte ich gerne auf Band geschnitten, doch fehlte mir dazu ein Tonbandgerät. Irgendeinem Typen gelang das, doch als ich 1974 endlich ein Monotonband ZK 120 aus Polen ergattern konnte und mir diese legendären Aufnahmen kopieren wollte, waren sie längst verschwunden; der Typ hatte das Band abgeliefert – beim MfS natürlich. Als der Motor der Band, genannt Pastor, wegen Arbeitsbummelei, das war dieser Assiparagraph aus dem Strafgesetzbuch, der erst 1978 abgeschafft wurde, im Knast landete, war es vorbei mit Peaceful Dead. Einige Zeit später entstand eine neue Band im Rahmen der offenen Arbeit – Airtramp. Auch langhaarig, auch unangepasst und politisch riskant. Die bauten sich den feuchten, muffigen, aber eben auch gemütlichen Kohlenkeller in der Jungen Gemeinde als Probenraum aus und spielten fortan bei Werkstätten und Privatparties groß auf. Über Umwege bekam die Band irgendwann einen Fördervertrag – Papa Staat wollte ja die Jugendkultur nicht untätig dem Klassenfeind überlassen. Mit dem Vertrag gab es auch einen geborgten 12-Kanal-Mixer vom VEB Vermona, Rauschpegel Windstärke 8, doch wen störte das damals. So entstanden die ersten Aufnahmen von Airtramp in der JG mit mir hinter den Reglern. Um der Band den religiösen Background zu entziehen, gab es im November 1985 sogar die offizielle Zulassung der Kulturbehörden als Amateurformation. Die Rechnung ging natürlich nicht auf, man trotzte dem Würgegriff der Zensur und spielte weiterhin seine Lieder; dreieinhalb Monate später war die Spielerlaubnis wieder weg, Auftrittsverbot. Ausreiseantrag. Und schon war der Großteil der Band im Westen verschwunden. Der Mixer verschwand natürlich mit, auch wenn ich mir selbstverständlich allergrößte Mühe bei der Suche gab, als der Jugendclubchef in der JG auftauchte und das Ding zurück haben wollte. In der Zwischenzeit hatte ein Freund einen Kopfhörerverstärker für sechs Kopfhörer in eine Zigarrenkiste gebaut und so wurde aus der JG Stadtmitte an so manchem Wochenende ein kleines Tonstudio; die Drums in einem Raum, der Rest der Band in einem anderen und die Instrumente direkt am Mixer hängend.

Aufnahmen 1987 mit Airtramp & Gefahrenzone

Als damaliger Angestellter des Kreiskirchenamts bekam ich von der Westkirche wegen meines geringen Gehalts eine jährliche Hungerhilfe auf das Konto meines Freundes Blase in Westberlin gezahlt. Damit konnten nach und nach ein paar unerlässliche Teile wie ein Kassettendeck, angeschafft werden, so dass die Aufnahmen allmählich ganz passabel klangen. Die Nachfolge von Airtramp trat eine Formation an, die Iros trugen, sich Punks nannten und ihre Band Sperma Combo. Die Musik war schräg, die Töne stimmten fast nie und die Proben war letztlich nur Saufgelage.
Später, so 1987 etwa, tauchte eine Band aus Saalfeld auf, die hieß Gefahrenzone. Die hatten ein paar Hits und wollten diese natürlich auch auf Kassette haben. Also bauten wir freitags auf, löteten allerhand zusammen und hielten einen kleinen Soundcheck ab, bevor es am Samstagmorgen losgehen sollte. Es ging auch los, dauerte aber Stunden bis ein Lied aufgenommen war, da man ja nach jedem Verspieler wieder von vorn beginnen musste. Danach folgten noch ein paar Nächte, in denen ich saß und ein Mastertape aus diesen Aufnahmen zauberte.
Da natürlich inzwischen auch andere Leute die aufgenommenen Sachen hören wollten, hatte ich längst damit begonnen Mastertapes zu kopieren und mir einen Kassettenrecorder aus dem Westen besorgt, mit dem man in doppelter Geschwindigkeit kopieren konnte. Das Problem war nur, dass eine normale Kassette im Osten 20 Mark kostete; ein Haufen Kohle für einen Jugendlichen. Also griff ich zurück auf die Bastelsets, mit denen man alle Einzelteile für zwei Kassetten in einer Plastiktüte für 20 Mark bekam. Nächtelang schraubte ich Kassetten zusammen mit dem Vorteil, sie später mit 10 Mark Gewinn verkaufen zu können. Der Erlös verbesserte die Technik: 1988 trieb ich zum Beispiel in einem An- und Verkauf in Rostock einen selbstgebauten Aphex, ein Hochtongenerator, für 1.800 Mark auf,. Das Teil war eine echte Errungenschaft!

So gut ausgerüstet fuhr ich alsbald zu den Kirchentagen mit einem Rucksack voller Kassetten, baute irgendwo einen Stand auf und konnte die Minuten zählen, bis alles ausverkauft war. Es reichte nie und einige gingen immer wieder leer aus. Kurz darauf kam ich dann auf die Idee Bestellzettel auszuteilen und den Leuten Nachnahmesendungen zu schicken. Inzwischen bastelte ich sogar die Kassettencover selber: Fotolabor auf meinem Dachboden, Fotoapparat immer parat und Duosan Rapid als Kleber zur Hand, den manche auch gern schnüffelten. Mehr brauchte ich nicht. In weiteren Nächten entstanden so auch die innenliegenden ORWO Pappcover.
Natürlich sprach sich all das schnell herum und so kamen immer mehr Bands auf mich zu: Die Fantastischen Frisöre aus Eisenach, Ulrike am Nagel aus Hermsdorf, Kalabatek Exzek mit Tom und Reimo von Antitrott und Tatjana von der Firma aus Berlin. Insgesamt war ich letztlich verantwortlich für 22 Kassetten von 15 verschiedenen Bands. Und den verschollenen Mixer, den schenkte ich dann 1991 dem Jugendclub in Cumbach, wo er bei einem Glatzenüberfall kurze Zeit später zerstört wurde.

In sehr kurzer Zeit entwickelte sich das Ganze durch die Arbeit mit den verschiedenen Bands, gerade auch durch die Herstellung und Verbreitung der Aufnahmen, zu einem kulturschaffenden Faktor innerhalb der eng begrenzten Szenen. Und ganz besonders Peaceful Dead, Airtramp und Gefahrenzone sind wohl heute die markanten Belege dafür, dass die Musik als Bindemittel in der Offenen Arbeit ganz hervorragend funktionierte. Das waren letztlich die subkulturellen Antworten auf die prägenden Lebensgeschichten und Erfahrungen junger Leute in der DDR. Eine Art Gegenkultur gegen die von oben verordnete Scheiße sozusagen. Es war Überlebenshilfe und Protest zugleich. Und natürlich auch ein großer Spaß, der mit Hinterhofproductions eine kleine, kohlrabenschwarze Dachmarke fand, unter der auch meine zweite große Leidenschaft – das Filmen – stand. auch wenn ich open air´s veranstaltete, war immer auch eine kamera am start und es gab danach kurze Clips auf youtube, z.B. beim Punk Openair in Winzerla Spielplatz Schrödinger Straße oder beim Electro/Industriel mit On Friday & Chinese black auf dem Sportplaz Lommerweg, zur Unfreude der Kleingärtner die wie Gartenzwerge schimpften.
Sorry, Jugend hat Vorfahrt an Wochenenden!

1993 wurde ich von Stefan angefragt, ob ich ihm meinen Bus borgen würde. Da wollte ich natürlich nicht. Also fuhr ich „Verge on Reason“ zu einer Konzertreihe in besetzte Häuser in Italien. Kaum über die Grenze wurden wir von der Bullerei gestoppt und sie nahmen den Gesamten Bus auseinander Nach 2 Stunden durften wir endlich weiter fahren. In Italien gabe es interessante aber leider Vegane Menschen, wo auch der Espresso mit Sojamilch nicht schmeckte. Beim letzten Konzert fingen die Besucher an, sich gegenseitig aufs Maul zu hauen. Wir verzogen uns auf den Dachboden zum Pennen. Es blieb bei einem Versuch. Ein blöder Hund tobte über die Betten, ein paar fingen lautstark an, herumzurübeln und dazwischen immer der blöde Hund und chnarchen und Keuchen. Also fuhren wir Nachts zurück nach Deutschland.

1 Jahr später begleitete ich die Band zu einer selbstorganisierten Tour duch Malaysia. 95% Luftfeuchte und 35 Grad im Schatten. bei den Konzerten ohne Fenster waren es 45%. Aber es war eine geile Zeit. Beim letzten Konzert in Kuala Lumpur stürzte Ich rückwärts ab, 2 Meter auf ne Treppe. Im Krankenhaus bekam ich Pillen, die den Schmerz verjagten und mich bunte Kringel sehen liessen. Nächsten Tag flog ich zurück und verbrachte die Nächsten Wochen sitzend auf dem Sofa oder sitzend am Schneideplatz. Als der Film fertig war, konnte ich auch wieder liegen.

1996 kamen wir auf die Idee, Silvester in Barcelona zu verbringen. Ein typisch Spanischer Anarchist nahm uns für 1 Woche in seine Wohnung auf.
Wir kamen am 25. 12. gegen 7 Uhr an und führen erst einmal zum Strand.
18 Grad und Sonnenaufgang.
Die nächsten Tage verbrachten wir damit, Cafes und Tapabars auszuprobieren und natürlich die Sagrada Familia zu erklimmen und nebenbei viele Gaudihäuser anzuschauen.
Silvester fuhren wir zu einer Party auf einem Berg außerhalb Barcelonas.
Wir mußten ihn im Schneegestöber erklimmen. Es erwartete uns eine kleine Steinhütte mir 3 Etagen. Die Türen waren etwa 1, 65 hoch. Es gab einen Kessel Paella aus Gemüse mit Knochen, Knorpel und Fleisch, unser Whiskey schmeckte besser. Wir verkrochen uns auf den Bachboden und versuchten etwas zu schlafen, was schwierig war bei dem Gerumpel und Geschnarche.
Bei Sonnenaufgang machten wir uns an den Abstieg, der Schnee war fast weg. Auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.

2008 war ich wie alle 2 Jahre mit einer Gruppe Jugendlicher in Wladimir. Darunter waren auch Jugendliche aus der Bewegungsküche.
beim obligatorischen Suzdal Wochenende, die Gruppe war gerade beim trainieren, als mich die Botschaft erreichte, das Anton, der Chef der Suzdal Motors Rocker mich gerne treffen würde. Er fragte mich, ob ich nicht eineBand kennen würde, die beim Festival in Suzdal spielen würde. Natürlich hatte ich eine und sagte für 2010 zu. Als ich schon wieder bei der Probe war, erschien Anton nochmals und überreichte mir einen Suzdal Motors Aufnäher. wie alle Ausländer mussten wir uns anmelden. Leider waren in der Post gerade alle Mitarbeiterinnen mit ruhängen und ihren Fingernägeln beschäftigt, so daß wir noch zur Hauptpost rammeln mussten.Übrigens, da der drucker defekt war, hatten wir alle Formulare in doppelter Ausführung mit Kugelschreiber ausgefüllt.

Als 2010 Green Melön in Suzdal spielen sollte, war ich leider mit der Bwewgungsküche in Frankreich. Sayndy versprach mir, die Band zum Flughafen zu kutschieren. Gewagtes Unternehmen, denn ich hatte zwar die Zusage, das sie in Moskau abgeholt werden? Ich vertraute und gewann. In dieser Zeit tobten gerade Waldbrände und Suzdal war total verraucht. Aber es war ein totaler Erfolg, da die Band vor dem Hedliner „Aria“ spielen durfte.

Noch ein paar Worte zu Frankreich. Es war von Torsten Wodner aus Leipzig gut vorbereitet. Leider waren zwei Querköpfe dabei. Beim Esen beschwerten sie sich, dass Torsten sich privat etwas anderes bestellte, als für die Gruppe vorgesehen war. In Frankreich haben die Bäcker Montags zu. Also hatte Torsten vorgesorgt. Am Montag waren die Querköppe entsetzt und beleidigt, dass es zum Frühstück keine frischen Baguettes gab. Einen Tag alte sind schlecht und die kann man nicht mehr essen.

Meinen ersten richtigen Super-8-Film, sollte 1987 beim so genannten Kirchentag von Unten gezeigt werden und zum darauf stattfindenden offiziellen Kirchentag auch in einer richtig großen Kirche. Ich hatte jedoch Schiss, dass das Ganze nichts wird, denn eine Woche vorher stand einer dieser typischen Stasi-Lada auffällig unauffällig in meiner Straße. Nun war eine List von Nöten und so bin ich mit meinem Moped, einem Rucksack und meinem grünen Parker mit Kapuze zu einem Freund gefahren. Dort wartete schon der Stadtjugendpfarrer Uli Kasparik. Ich verstaute die Projektoren, gab dem Jugendpfarrer meine Jacke und mein Moped und der machte sich an meiner Stelle auf den Weg – der Lada natürlich hinterher. .Mein Freund fuhr mich dann unbeschadet wie unbeobachtet nach Berlin. Der dazu passende Aktenvermerk, den ich später in meiner Stasi-Akte fand, zeigte, dass sie erst ziemlich spät kapierten, welch einfachem Täuschungsmanöver sie aufgesessen waren. In Berlin angekommen, hatte man eine Kamera besorgt, so dass ich meine Filme an die Wand werfen und von dieser abfilmen konnte. Ein bisschen umständlich vielleicht, aber anders waren Kopien für uns nicht zu machen. Anschließend wurde dafür gesorgt, dass irgendein Diplomat das Teil mit nach Westberlin nahm, um den Streifen auf dem Super-8-Festival zu präsentieren.
In diesem Film ging es um Jugendkultur und Offene Arbeit. Ich zeigte eineinhalb Stunden lang eine ganze Reihe von jungen Leuten, die über ihre Jugend in der DDR sprachen. Kochendheißes Material sozusagen. Die Stasi hatte natürlich etwas dagegen und letztlich dafür gesorgt, dass mein Film noch vor dem Zeigen im Archiv des Kinos spurlos verschwand.

Später bin ich durch die ganze DDR gefahren, zu Kirchengemeinden usw. um dort meine Filme zu zeigen. Und unter Anderem bei einem weiteren Kirchentag vor 2.000 Leuten lief dieser verschollene Film dann doch noch, dank meiner Kopie. Die Kirche tat sich schwer mit dem lockeren Jugendleben und so sorgte diese Dokumentation letztlich für viele wichtige Gespräche und Diskussionen. Das war echte Pionierarbeit würde man heute sagen; für mich war es einfach total spannend. Auf diese Art und Weise entstand schließlich über die Jahre und Jahrzehnte hinweg eine ganze Reihe von Filmen, die meinem Versuch das Lebensgefühl verschiedener Szenen einzufangen und zu transportieren, gerecht wurde.
Irgendwann hatte ich mal 25 Terrabyte voll mit Filmen und Filmschnipseln, alles, was sich im Laufe der Zeit so ansammelte. Zwölf sind noch da, den Rest habe ich irgendwann weggehauen. Was wirklich Wert hatte ist zigfach gespeichert, kopiert und auf irgendeine Art und Weise im Netz oder sonstwo veröffentlicht. Zum Beispiel die Symbiose meiner beiden Leidenschaften: Wir sind die deutsche Jugend – Jugendkultur & Szene. Gemeinsam mit Matthias Körting hatten wir uns zwischen 1996 und 1997 die Punk-, die HipHop-, die Darkwave-, die Hardcore-, die Electro / Industrial-, die Techno- und die Metalszene angesehen, zu jeder Szene einen Film gemacht und unsere Erkenntnisse und Beobachtungen zudem in einem kleinen Buch zusammengefasst. Unter Anderem mit einer musikalischen Weltkarte, die den Versuch einging, die Geschichte der verschiedenen Musikstile, also was wo welchen Stil beeinflusst hat, mal zu ergründen; mindestens zu dieser Zeit etwas ziemlich Einmaliges, würde ich sagen.
Lange produzierte und filmte ich zudem auch Dokumentationen für den Demokratischen Frauenbund in Cottbus und kam so, aber auch mit den verschiedenen Bands, richtig viel herum in der Weltgeschichte. Mit einer Band war ich zum Beispiel in Malaysia, auch eine dieser irren Geschichten, an die ich gern zurückdenke.

Dafür, dass ich also kein großer Urlaubsfreund war, hab ich es doch zu einigen Stempeln im Pass gebracht. Zwei Veranstaltungen, die mir ganz besonders am Herzen lagen, waren die Musikerpartys im Hugo, der zweijährige Nachwuchsbandwettbewerb seit 1995 und die jährlichen Jugendaustauschprojekte mit Wladimir in Russland.

Als ich 1994 das erste Mal mit einer Gruppe Jugendlicher in Wladimir war, war auch ein Substituierter dabei, für den ich das Methadon schmuggeln musste. Als wir ankamen, musste ich feststellen, dass die russischen Leilnehmerinnen entsetzt waren. Tätowierte waren nur Knastbrüder und keine normalen Menschen. Die nächsten Tage verbrachten sie damit, sich mit mir Fotografieren zu lassen, ich war wohl doch kein Knastbruder für sie.
Wir waren bei Gastaltern untergebracht. Meiner hieß Boris, der in einer Parterrewohnung bei seiner Mutter lebte, die gerade im Krankenhaus lag. Er studierte Musik im Konservatorium. In der 1.Nacht sagte er, du darfst nicht das Fenster öffnen, nur die Tür zum Flur. Ich verstand es erst am nächsten Tag. eine Gruppe ordentlich Zurechgetrunkener stand vorm Haus. Sie umringten mich gleich, bewunderten meine Tattoos, zeigen mir ihre verblassten Knast-Tattoos. Es gab eine Flasche lauwarmer Wodka Fusel, ich spendierte Westzigaretten. Zum Abschied gab es Umarmungen. In dieser Nacht habe ich das Fenster geöffnet, weil klar war, ich bin jetzt ihr deutscher Freund.
Die nächsten Abende gab es immer viel Wodka, mit Boris und seinen Freunden. Ich gab mir Mühe, zu gewinnen. Am letzten Abend war ich Sieger und ich musste am Morgen Boris wachrütteln, der rief mir eine Taxe, die mich zum Flugplatz brachte. Zurück schmuggelte ich russische Westzigaretten für 50 cent die Schachtel.
Bei einer Wanderung fragte mich ein russischer Arzt, was meine Rückentattoos bedeuten. Unsere Dolmetscherin übersetzte ihm die Bedeutung nach Freud: Der Stier ist mein Ich, der durch die Mauer des Überich, über dioe tosenden Fluten von Lava des Unbewussten springt! Er lächelte und sagte: ich weiß was das bedeutet; Anarchie. Da hatte er wohl recht.

Natürlich habe ich darüber auch Filme gemacht Musste ja immer betteln, die Projekte weiterführen zu können.Der Film als Medium lehrte mich vieles, zum Beispiel auch auf eigenartige Weise, dass man sich immer zweimal im Leben sieht: Immer mal wieder wurde ich, der ja sonst immer hinter der Kamera stand, für verschiedene Filmprojekte angefragt, unter Anderem auch zum Thema Opposition in der DDR. Es ging also gerade um verschiedene Stasi-Geschichten als ich von Würbach berichtete und vor laufender Kamera erzählte, dass ich es unverschämt fände, dass so ein Typ wie er, nach der Wende im Stadtarchiv arbeiten dürfe. Kurzerhand beschloss die Redaktion des schwedischen Filmteams dorthin zu fahren und ihn mit meiner Geschichte zu konfrontieren. Da ich schon immer gern provozierte, willigte ich ein. Würbach kam tatsächlich aus der Tür, der Journalist fragte ihn, ob er mich kennen würde und wenn ja, woher. Die erste Frage bejahte er, bei der zweiten zuckte er nur mit den Schultern und verschwand. Er hatte einfach nicht damit gerechnet, dass ich mich outen würde und ihn damit auch als meinen Führungsoffizier. Am Tag darauf erschien er nicht mehr auf der Arbeit. Er war abgehauen aus Jena, seine Karriere war damit ohnehin zu Ende und man munkelte, er wäre irgendwo weit weg bei einer Versicherung gelandet, wie so viele nach der Wende, die sich auskannten mit dem Geschäft mit der Angst.