6. BÖHSE ONKELZ – OHNE MICH

Mein letzter Akt als Sozialarbeiter nach 15 Jahren in Winzerla war ein öffentliches Gespräch, organisiert vom Stadtteilbüro. Ich sollte erzählen, wie ich die Dinge so empfunden und erlebt hatte, zudem gab es einige Fragen und Diskussionen, ein runder Abschluss eben. Während das Ganze allmählich ins Laufen kam und eine konstruktive Diskussion aufzukeimen schien, stand ein Mann auf, den ich sofort erkannte und der Professor an der Fachhochschule war. Es war der Vater von Uwe Mundlos, dessen Sohn Teil des NSU-Trios war. Er warf mir vor, dass sein Uwe nur zu den Rechten gegangen war, weil er sich in unserem Club in Winzerla nicht einfügen durfte und daher regelrecht dazu gezwungen wurde, die Kameradschaft Jena zu gründen. Ein Vorwurf, den ich nicht zum ersten Mal hörte, der aber natürlich schon immer Quatsch war: Uwe war radikal, politisch total überzeugt, eine Art Bilderbuchfascho, der nichts dumm nachquatschte, sondern eine konkrete rechte Ideologie sowie das klare Ziel verfolgte, aus unserem offenen Club seine rechte Basis zu formen, um von dort aus seine Vorstellungen umzusetzen. Und natürlich konnten wir das nicht zulassen, auch wenn der König und die Königskinder das nach wie vor vehement behaupten.
Allerdings konnte ich ihn emotional ein Stück weit verstehen, den verzweifelten Vater, der aus meiner Sicht zu Recht in München zum Richter sagte, es wäre unverschämt, dass der Mord an seinem Sohn nicht aufgeklärt werden würde. Ich konnte ihn verstehen, ihn und die Wut und die Verzweiflung, der man sich als Elternteil in einer solchen Lage gegenübersehen musste. Um so etwas Unbegreifbares, so etwas Unvorstellbares zu verarbeiten, braucht es einen Schuldigen. Und ich verstehe auch, dass die Art des Gerichtsprozesses und insbesondere die Vorgehensweise des Verfassungsschutzes, im Grunde konsequent jeder Aufklärung im Weg zu stehen, nur noch mehr Unverständnis und Wut entfesselten und ein klares Bild verhinderten.

Protokoll 102. Verhandlungstag – 3. April 2014
Götzl fragt zur zeitlichen Einordnung der Beziehung Zschäpe-Mundlos und hält eine frühere Aussage von Frau Mundlos vor: 92/93 wurden sie ein Paar. Ich konnte zu der Zeit keine Hinweise auf Beziehungen zur rechten Szene erkennen. Im Gegensatz zu Thomas Grund, „Kaktus“, der früher bei der Stasi war. Zeugin: Der Uwe hat da einen Jugendclub mit aufgebaut, war ordentlich gekleidet. Er hatte schwarz-rot-goldene Hosenträger, das war modern zu der Zeit, ich habe mir gar nichts dabei gedacht. „Kaktus“ war da Sozialarbeiter und sprach ein Hausverbot gegen Uwe aus. Uwe sagte: da sitzen ältere Männer drin und die jungen Mädchen auf dem Schoß und rauchen und saufen. Bis 98 hat er nicht geraucht und getrunken, maximal mal an Silvester ein Glas. Er war ein sportlicher Typ. Ich dachte mir: wenn [Thomas] Grund merkt, dass die nach rechts abrutschen, muss er sich doch um die kümmern und nicht sie rauswerfen.

Es gab in Winzerla noch einen zweiten Jugendclub „Trend“ genannt. Der winzerlaer Ortsbürgermeister war der Meinung, dass seine Ortsteil-Runden im Trend besser laufen, weil der Trend nicht so jugendgemäß aussah wie der Hugo. Also wurde 2004 beschlossen, den Hugo zu schließen und die Mitarbeiter in den Trend umzusiedeln. Da sich der Trend im Parterre einer Schule befand, wo Bands nicht hätten proben, gechweige denn auftreten könnten, mussten wir das verhindern. Ein Klinkenputzen durch Jena begann. Es endete in einer öffentlichen Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Ich setzte mich nicht auf die Seite der Hugo-Befürworter sondern mitten in die Trend-Unterstützer. Der Jugendhilfeausschuss entschied zu Gunsten des Hugo. Der Chef des Stadtrates, Prof. Biewald mit erhobenem Zeigefinger sagte zu den Trend Befürwortern: Sie haben sehr schlechte politische Arbeit geleistet. 3 Monate sinnlose Arbeit nur damit alles beim alten bleibt. Wir sollten die Prügelstrafe für niederträchtige Politiker wieder einführen!

Trotzdem sind es natürlich schwere Anschuldigungen mir gegenüber, die nicht zuletzt ja auch der König zum Anlass nahm, um seinen Jüngern zu propagieren, dass es ohne mich kein NSU gegeben hätte. Mit beiden braucht man nicht mehr zu diskutieren, für alle Anderen hier in aller Kürze und ganz in Ruhe mal meine Perspektive auf die Geschehnisse:
Bis zur ersten Nachricht, dass Beate Zschäpe aufgegriffen wurde, haben wir alle, die die drei aus ihren Jugendtagen kannten, geglaubt, sie wären irgendwohin abgetaucht, denn genau dabei hatte ihnen die Polizei ja damals geholfen.
Als die ganze Geschichte aufflog, kochte das Thema natürlich sofort in den Medien hoch und in gefühlten Augenblicken kamen die Presseleute aus ihren Löchern gekrabbelt. Die Anfragen stapelten sich, doch ich stellte ganz schnell fest, dass die gar nicht hören wollten, was ich zu erzählen hatte, sondern einfach das schrieben, was die größte Aufmerksamkeit und verkaufsstärkste Schlagzeile ergab. Der Tagesspiegel veröffentlichte zum Beispiel online einen Artikel, in dem alle möglichen Zusammenhänge völlig falsch dargestellt waren, Personen und Erzählungen verwechselt wurden und Ähnliches. Denen habe ich dann mit einem Anwalt gedroht, was zur Folge hatte, dass der Artikel sofort wieder verschwand. Uwe Mundlos Vater hatte diesen Bericht dennoch gelesen und so entstand sein Eindruck, ich hätte denen diesen Quatsch erzählt. Auf mich gekommen sind die Journalisten letztendlich übrigens nur, da sie in der JG landeten und vom König Dinge wissen wollten, zu denen er nichts sagen konnte. Daraufhin rief seine Hoheit mich an und meinte ich solle vorbeikommen und meine Sicht schildern. Das tat ich, auch wenn wir ansonsten ja schon eine kleine Ewigkeit nichts mehr miteinander zu tun hatten und er inzwischen ja einigen Leuten von unserem alten Kern längst und grundlos Hausverbote in der JG ausgesprochen hatte. Selbst der Sozialdiakon Micha Reisgies und der Jugendwart Jürgen Wollmann mussten dran glauben und verließen Jena.

2011 wurde mein Freund Hage 40 Jahre alt. Natürlich wollte er den im Hugo feiern, mit viel Bier und Punkbands. Das haben wir schon Anfang des Jahres abgesprochen. Eine Woche vor der Party rief mich Katharina König an. Ich war gerade in Brandenburg bei einem Filmdreh für den DfB. Sie verlangte von mir, daß die Party mit Hage ausfallen muss, weil in der JG an dem Tag ein Punk Konzert statt findet, da habe sich der Hugo rauszuhalten. Hage kann ja in der JG feiern.
Diese Unverschämtheit machte mich erst mal sprachlos. Aber sie bekam die einzig mögliche Antwort: Die Party im Hugo findet statt.
Die Kollekte brachte 400 € für die Elternnitiative für die Krebskranken Kinder in Jena!

In der Jungen Gemeinde saßen damals Journalisten vom Spiegel und anderen Medien, kurz darauf traf ich mich noch einmal mit der Dame vom Tagesspiegel und dann hatte ich meine Lektion auch schon gelernt. Mir war es zuvor aber wichtig, dass ich meine Meinung dazu sagen konnte und als alles gesagt war, hab ich folgerichtig auch die Klappe gehalten. Daraus hat mir der König und sein Gefolge dann später gern und oft bei nahezu jeder passenden Gelegenheit einen Strick gedreht. Winzerla wäre damals eine befreite Zone gewesen, hieß es. Und unser Jugendclub hätte bei der Entstehung des NSU eine tragende Rolle gespielt. Ich habe ja bereits zuvor geschildert, wie es wirklich war und dass es sogar unsere Aufgabe war, alle – ganz gleich welcher Gesinnung, also auch die Glatzen – von der Straße zu holen und mit ihnen zu arbeiten. Letztendlich sollte jeder der damals wie heute des Königs Texte runterbetet sich daran erinnern, von welcher Zeit wir hier sprechen! Nämlich vom Anfang der Neunziger Jahre, als in Rostock Lichtenhagen unter dem Applaus etlicher Normalos Ausländerwohnheime brannten, die Schulhöfe allen Orts mit Bomberjacken übersäht waren und etliche Jugendliche im rechten Trend orientierungslos mitschwammen. Die konnten und wollten wir damals nicht einfach alle abstempeln und außen vor lassen, das wäre doch genau das gewesen, was noch viel mehr Jugendliche in die Ecke der Rechten gedrängt hätte! Wir haben alle aufgenommen und wer sich nicht benommen hat, ist rausgeflogen und bekam Hausverbot. Alles andere, was über die offene Arbeit mit diesen Jugendlichen hinaus geht, gehört ins Königreich der Fabeln.
Als später die Trilogie über das NSU-Trio gedreht wurde, fuhr ich mit dem Regisseur Christian Schwochow nachts durch Jena und besuchte ein paar Leute; Aussteiger und so weiter. Die gaben ihm Tipps, wie die Scheitelträger und die Glatzen so unterschiedlich drauf waren und wie das damals eben so ablief in Jena im Allgemeinen sowie in Lobeda und Winzerla im Speziellen. Und dann war es doch im Grunde auch schon wieder vorbei. Die ganze Öffentlichkeit verschwand letztlich genauso schnell, wie sie kam. Heute werden wir wahrscheinlich ohnehin nicht mehr erfahren, was dort in all den Jahren wirklich passierte. Es ist der Verfassungsschmutz, und das sage ich noch immer laut und überall wo es sein muss, ohne den es den NSU nicht gegeben hätte. Die haben die drei immer gedeckt, dafür gibt es tausende von Anhaltspunkten und aus meiner Sicht auch Beweisen. Und natürlich wurden die aktiv unterstützt, anders kann so etwas gar nicht funktionieren. Aber letztlich wird das Ganze wohl im Sande verlaufen und die Ungereimtheiten werden als merkwürdige Zufälle, wie zum Beispiel die inzwischen sechs Menschen, die noch vor ihrer Aussage vor Gericht ums Leben kamen, ausgelegt werden.

Wenn man es also ganz genau nimmt, ist meine mir hier und da immer mal wieder nachgesagte Verbindung zu dieser ganzen Geschichte, eine vergleichsweise kurze: Als ich in den Winzerclub kam, war Winzerla grau, ein Stadtteil im Umbruch, ein sozialer Brennpunkt, wie man heute sagen würde. Es gab dort verschiedene Gruppen von Jugendlichen und es gab deutlich mehr Gewalt als Perspektiven. Uns war früh klar, dass wir, wenn wir dort etwas zum Besseren bewegen wollten, uns auf Experimente einlassen müssten. Also wurde gemeinsam mit den Jugendlichen der Club aufgebaut und jeder der wollte, konnte mitmachen. Da war auch Uwe Mundlos dabei, auch wenn ich den nie näher kennenlernte, da er sich von Anfang an weigerte, mit uns zu reden. Trotzdem hörte man natürlich von allen Seiten von seiner rechten Gesinnung, die in Kombination mit unseren Eindrücken von ihm, schnell klarmachte, dass der junge Mann ziemlich auf zack war und durchaus in der Lage, Strukturen zu schaffen. Und das wollten wir nicht, schon gar nicht bei uns. So kam es natürlich schnell zu Konflikten, die dann irgendwann in einem Hausverbot endete. Auch Uwe Böhnhardt habe ich nie näher kennengelernt, er war ein paar Jahre jünger als Mundlos und damals nicht mehr als dessen Adjutant. Als die beiden sich kennenlernten, hatte Uwe Mundlos längst Hausverbot bei uns im Club. Die Hausverbote kamen, als die Rechten immer öfter versuchten, sich im Club breit zu machen, getarnte Konzerte veranstalteten, die sich dann erst währenddessen als das entpuppten, was sie waren und die wir natürlich nicht wollten. Also wurden sie rausgeschmissen und verbannt und zogen dann – nicht ohne einige Scharmützel noch abzuhalten – irgendwann weiter. Von da an war es unser Job dafür zu sorgen, dass die anderen, die orientierungslosen, nicht einfach blind hinterherrennen.

Der Bruch mit Uwe Mundlos im Speziellen war schon zuvor, im Mai 1992 etwa. Ich habe ich ihm gesagt, dass ich mit ihm nicht mehr arbeiten möchte, dass es so nicht mehr weiter geht und er ab sofort keinen Fuß mehr in den Club setzen darf. Bis dahin war Beate ein ganz normales junges Mädchen von nebenan, eine Randfigur, ohne politisches Interesse. Die Probleme mit ihr gingen erst los, als sich die Konflikte mit Uwe Mundlos zuspitzten. Etwa ein halbes Jahr zuvor, im Dezember 1991, brachen Beate, ihr Cousin und zwei andere den Club auf und klauten alles, wirklich alles, was nicht niet- und nagelfest war: den Tresor, die Zigaretten aber auch alle Unterhaltungsspiele und so weiter. Ein paar Tage später wurde uns klar, dass sie es waren. Wir erstatteten natürlich Anzeige, wussten jedoch gleichzeitig, würden wir diese aufrecht erhalten, würde sich ein ewig dauerndes Prozedere einstellen und das ganze Zeug würde verschwunden bleiben. Dann hätten wir nicht einmal mehr etwas, mit dem sich die anderen jungen Leute beschäftigen konnten. Also beschlossen wir einen Täter-Opfer-Ausgleich anzubieten. Uwe Mundlos, der wohl Schmiere stand, sich ansonsten aber komplett rausgehalten hatte, wurde kurzfristig genauso begnadigt wie Beate und ihr Cousin, die ihre Beute zurückbrachten und den Schaden in Raten zurückzahlten. Aber wie gesagt, kurz darauf war es dann ganz vorbei und keiner der drei Hauptverantwortlichen für diese grausame Mordserie, tauchte jemals wieder bei uns auf. Wenn man sich heute hinstellt, wie die königliche Familie es zum Beispiel gern macht, und wettert, dass wir die Glatzen gar nicht erst hätten reinlassen dürfen, dann möchte ich noch einmal zu Bedenken geben, dass ich 1991, ’92 und auch ’93 die rechte Szene als nicht homogen erlebte. Das heißt, dass viele aus Mangel anderer Idole, dem Bomberjackentrend hinterherhechelten und mal hier, mal da in all dieses Gerümpel hineinschnupperten; einige kamen plötzlich mit Glatze, andere hatten von heute auf morgen keine mehr. Irgendwann spitzte sich die Situation zu, Gewalt brach immer öfter offen aus und viele Kulturklubs beschlossen, dass niemand mehr mit Glatze oder Bomberjacke überhaupt reinkommen durfte. Sie ignorierten sie einfach. Wir glaubten jedoch, wenn wir so mit Jugendlichen umgehen, dann verlieren wir sie auf jeden Fall. Also probierten wir, die Rädelsführer zu identifizieren und allen anderen lebensbejahende, friedliche Alternativen aufzuzeigen. Wir wollten den Mitläufern beistehen und sie begleiten, um sie vor einem tieferen Einstieg zu bewahren oder ihnen bei einem konkreten Ausstieg zu helfen. Und das war letztlich auch ein essentieller Teil unseres Jobs da draußen in Winzerla. Da zu sein. Gewalt abzubauen. Mitten im Brennpunkt. Natürlich passieren dabei auch Fehler, aber wer nur Zuhause hockt, abwartet und später kritisiert, der ändert die Welt ganz sicher nicht.